Nach einer schlechten Nacht voller Unruhe und ohne Robert, warf Valerie an diesem Morgen ihren kompletten Terminplan über den Haufen. Sagte alles ab. Einwände von Bernadette und Serville fauchte sie beiseite. Für 10 Uhr ließ sie ihren Wagen vorfahren. Nur Pierre ihr Fahrer und Maurice ihr Leibwächter, durften sie begleiten. Die Fahrt war nicht weit, sie ging vom Palais Bariole die kurze Strecke über die Landstraße hinunter zur Garnisionskirche. Früher war sie diesen Weg immer zu Fuß gegangen. Doch seit dem Attentat und ihrer Entführung ließ sie sich in ihrer schwer gepanzerten Limousine dorthin fahren. Wortlos war sie eingestiegen. Wortlos saß sie im Fond. Pierre hatte die Weisung an einem Nebeneingang zu halten, durch den sie ungesehen zur Grabeskapelle ihres Vater gelangen konnte. Als sie ausstieg, sah man eine Kaiserin die in tiefes schwarz gekleidet war. Extrem hohe Pumps, Nylons. Das Kostüm reichte bis unter die Knie. Lederhandschuhe, eine kleine Handtasche. Ein kleiner Hut mit einem Gesichtsschleier und dazu noch eine große Sonnenbrille. Dezent geschminkt, die Haare hochgesteckt. Maurice spürte das seine Kaiserin traurig und niedergeschlagen war. Vor nicht allzulanger Zeit hätte er versucht sie zum lachen zu bringen. Diesmal entschied er sich dagegen. Zuviel hatte diese junge schöne Frau einstecken müssen. Jetzt sorgte er dafür, dass niemand, wirklich niemand, sie in ihrer Andacht störte. Selbst der Pfarrer wurde gebeten, fernzubleiben. Man hörte nur die dünnen Absätze ihrer hohen Schuhe, sonst war alles totenstill, als sie die Kapelle betrat, in dem der Sarkopharg mit den Überresten Kaisers Eugene stand. Die schwere Eichentür wurde hinter ihr geschlossen. Valerie war alleine, alleine mit ihrem Vater. Sie zog sich die Handschuhe aus, tauchte zwei Finger in das kleine Weihwasserbecken und bekreuzigte sich. Valerie machte eine tiefen Knicks vor dem Kruzifix über dem Altar. Vor dem Sarkopharg aus rotem Marmor kniete sich die Kaiserin auf einen Gebetsstuhl, faltete ihre Hände und schaute auf den Boden, als sie ein Vater-Unser betete. Dann sah sie zur Grabstätte ihres Vater auf. Tränen liefen über ihr schönes Gesicht.
Papa, geliebter Papa ...
Sie entnahm ihrer Handtasche ein Tachentuch. Zog die Sonnenbrille vorsichtig unter dem Schleier hervor und tupfte sich die Tränen ab. Mit belegter Stimme sprach sie zu ihrem Vater.
Ich bin nicht wie Du. Das werde ich auch nie sein. Keine Ahnung vom regieren, keine Ahnung von Politik, keine Ahnung wie man mit Menschen umgeht. Keine Ahnung was ich hier als Kaiserin eigentlich soll. Keine Ahnung davon wie ich zwischen den Fronten meiner Freunde, Berater und Gegner unbeschadet herauskommen soll. Ich habe es satt ständig aufpassen zu müssen was man zu wem sagt! Ich will endlich wieder ich sein, ich will wieder Valerie sein. Valerie Beauharnais und nicht Valerie d`Outremer.
Valerie stand auf, ging zu dem Marmorsarkopharg legte ihre rechte Hand auf den Deckel und küßte den kalten Marmor. Neben dem Sarg blieb sie stehen.
Du hast immer gewusst was Du tust. Ich weiß nicht einmal, ob ich den Tag überlebe, ohne einen Skandal, eine Krise oder einen Krieg ausgelöst zu haben. Oft liege ich im Nachts im Bett und weiß nicht wie ich zur Ruhe kommen soll. In den Träumen tauchen sie alle auf, die Durocs, die Bruns, die Rideforts, della Roveres, Montmorencys, Antonie, meine Schwester, meine Mutter und und ... Anielle. Ich glaube fast. dass ich genauso verrückt werde oder bin, wie Leonor.
Sie ging langsam zum Altar hinüber, schaute zu dem schlichten Kruzifix hoch. Es war während des letzten Kreuzzuges entstanden als Dank für die gewonnene Schlacht von Karameique in der ein kleines Kreuzfahrerheer die Kasemuffen besiegte.
Kasemuffen, Kreuzfahrer, der alte Adel, der neue Adel, Parlamente, deine Armee, meine Flotte. Aussenpolitik, Innenpolitik, Sozialpolitik. .... Papa warum, warum hast Du mich damit alleine gelassen? Ich sitze an meinem ... deinem Schreibtisch denke über das was ich unterschreiben soll nach und verstehe noch nicht einmal die Hälfte. Ich sehe mich noch im Schlaf meine Unterschrift unter all diese Papier setzen. Papa ich will ... ich kann nicht mehr.
Valerie seufzte leise, ging zum Sarkophag zurück, mit fester Stimme und einem ebenso festen Blick, sprach sie weiter.
Sire, ich werde noch eine einzige Unterschrift als Valerie d'Outremer tätigen. Gleich wenn ich nach Hause komme, werde ich ein Schreiben unterzeichnen, das meinen Rücktritt als Imperatrice d'Outremer erklärt!
Sie ging zurück zum Gebetsstuhl griff sich ihre dort liegende Handtasche und ihre Handschuhe. Bekreuzigte sich noch einmal mit Weihwasser, knickste noch einmal vor dem Kruzifix nieder, klopfte an die schwere Eichentür. Setzte die Sonnebrille auf, damit man ihre verheulten Augen nicht sah. Maurice öffnete, begleitete seine Kaiserin zurück zum Wagen. Pierre fuhr, für seine Verhältnisse, gesittet zurück zum Bariole. Wortlos ging sie an allen vorbei die sie auf dem Weg zu ihrem Arbeitszimmer traf. Handschuhe und Handtasche achtlos einen großen Sessel geworfen, setzte sich sich Aufrecht wie eine Ballerina in ihren Stuhl, zog eine Mappe aus einer Schublade, öffente das Siegel und dann die Mappe, drehte den altmodischen Füllfederhalter auf und setze lächelnd ihre Unterschrift VALERIE unter die vor Wochen schon selbst verfasste Rücktrittserklärung. Erleichtet aufamtend lehnte sie sich zurück und lachte, lachte wie nur Valerie lachen konnte.