Leonor ging erst lächelnd langsam und dann immer schneller durch die Palastgänge. Eine Abkürzung kannte sie seit langem. Die Rosette des dritten Ornaments der Kante zu drücken und dann den Gang nach links nehmen.
Wenn Valerie dachte, dass ihre Schwester von nichts wußte und in ihren Träumen flatterte, so hat sie Leonor unterschätzt, wie ihre Mutter es tat. Onkel Fouche kannte seine "Nichte" besser als alle anderen. Er berichtete über das Leben von Valerie, vom Leben der Mutter.Sie wußte sogar über Leon's Besuch.
Leonor packte sich an den Hals. Sie konnte nicht mehr atmen. Mit einer Wucht öffnete sie das Fenster. Ihr gesamter Oberkörper hing über das Fensterbrett und schwebte der abendlichen Brise entgegen. Zumindest für eine Minute, bis sie erschrocken das Fenster wieder zumachte. Nicht einmal in ihren Gemächern fühlte sie sich frei. Wenn Jean nur wüßte, dass sie ihn angelogen hatte. Ihre Angst galt nicht ihm oder der Zukunft, sondern der Gegenwart.
Sie hat alles, bekommt alles und du? Sogar jetzt hast du ihr den Platz geräumt. Warum konnte ich Jean nicht sagen, dass ich Angst habe, wahnsinnig zu werden? Warum bin ich so eine feige Frau? Der Neid frisst mich bis zu den Knochen. Ich bin eine Frau, die eingesperrt werden muss, bevor sie was dummes macht. Es war ein großer Fehler zu denken, ich kann lieben, Liebe geben. Wenn er nur wüßte, wie schwarz mein Herz ist. Und meine Schwester denkt, ich bin ihr eine gute Schwester.
Sie murmelte vor dem Spiegel.